Griechenland: eine trügerische Ankündigung zum Schuldenabbau

Eric Toussaint im Gespräch mit Marie Brette von TV5 Monde

Eric Toussaint, was halten Sie von dem von den Ministern der Eurozone unterzeichneten Abkommen? Ist Griechenland aus der Krise heraus? 

E. T.: Aus der Krise ist Griechenland keineswegs heraus. Auch aus der Sicht der europäischen Staats- und Regierungschefs ist die Situation im Euroraum nicht besonders brillant. Die Ankündigung zum Schuldenabbau ist irreführend, da der Schuldenstand nicht reduziert wird und es lediglich darum geht, den Beginn bestimmter Rückzahlungen, insbesondere an die europäischen Partner Griechenlands, um zehn Jahre zu verschieben. Die an den Internationalen Währungsfonds, die Europäische Zentralbank und private Gläubiger zurückzuzahlenden Beträge sind sehr hoch und werden nicht gestundet. Sie werden ständig abbezahlt. Der IWF hat seit 2010 fünf Milliarden Euro an Gewinnen auf dem Rücken Griechenlands erzielt, und die EZB hat mindestens acht Milliarden an Gewinnen auf griechische Wertpapiere erzielt. Letztendlich ist die Verlängerung des Rückzahlungsplans nur ein Trostpreis für Regierung Alexis Tsipras, die in den letzten drei Jahren die von den Gläubigern geforderten Dutzenden von Reformen durchgeführt hat. Nach drei Jahren einer so harten Austeritätspolitik musste Tsipras der griechischen Bevölkerung sagen dürfen, dass die verfolgte Austeritätspolitik endlich zu einem Ergebnis geführt hat. Die von den Gläubigern (IWF, EZB, Europäischer Stabilitätsmechanismus) auferlegte Politik des Sozialabbaus wird jedoch verstärkt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs wollten mit dieser Vereinbarung vom 22. Juni 2018 privaten Investmentfonds mitteilen, dass sie nach dem kommenden August wieder griechische Wertpapiere kaufen können, weil öffentliche Garantien angeboten wurden.

Griechenland ist ein Opfer der in der Europäischen Union angewandten Politik“

In welchem wirtschaftlichen Zustand befindet sich Griechenland?

E. T.: Es ist in einem schrecklichen Zustand. Der Rückgang des BIP im Vergleich zu 2009/2010 beträgt fast 30 %. Betrachtet man die makroökonomischen Indikatoren, so befindet sich Griechenland in einem schlechten Zustand. 350.000 hoch qualifizierte junge Menschen sind nach Deutschland, Frankreich und in andere Länder Nordeuropas gegangen. Sieht man von dem Beitrag der Flüchtlinge ab, die das Land aufnimmt, was im Jahr 2017 die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ermöglichte, wird Griechenland sich demografisch negativ entwickeln. Von nun an wird die griechische Bevölkerung schrumpfen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 40 %. Nach Angaben von Eurostat sind 47 % der griechischen Haushalte mit der Rückzahlung eines ihrer Kredite in Verzug, und die Ausfallquote bei von Banken gewährten Krediten liegt ebenfalls bei über 46,5 %. Ob es nun um die Beschäftigung, das Finanzsystem oder die Produktion geht, die Situation ist äußerst schlecht, und sie ist das Ergebnis der Griechenland auferlegten Politik. Das Land ist ein Opfer der Politik der Europäischen Union. Die EU verfolgte das Ziel, den anderen Völkern der Eurozone zu zeigen, dass es sie sehr viel kosten würde, wenn sie sich für eine Regierung entschieden, die für einen radikalen Wandel nach links steht und mit der Austerität brechen will!

Was hätte man tun sollen?

E. T.: Im Jahr 2010 hätte die Bankenkrise gelöst werden müssen, anstatt die Privatbanken, die enorme Risiken eingegangen waren, über Wasser zu halten. Statt Dutzende von Milliarden Euro in die Rekapitalisierung dieser Banken zu stecken, hätten sie saniert und in die öffentliche Hand übergeben werden müssen. In Griechenland kontrollieren vier Banken 85 % des griechischen Bankenmarktes. Von deutschen und französischen Banken, die dem griechischen Privatsektor viel Geld geliehen hatten, hätte verlangt werden müssen, dass sie ihre riskanten Kredite selbst schultern, anstatt eine Troika zu schaffen, die Griechenland öffentliche Gelder geliehen hat zur Weiterleitung an diese Großbanken. Als sich die griechische Bevölkerung im Jahr 2015 für eine Koalition entschied, die in Sachen sozialer Gerechtigkeit wichtige Änderungen vorschlug, hätte sie Demokratie praktizieren dürfen müssen. Der demokratische Wille wurde jedoch systematisch von den europäischen Behörden bekämpft, die mit der Kapitulation von Tsipras im Sommer 2015 bei der Unterzeichnung des dritten Memorandums, das die griechische Krise vertiefte, zufrieden waren.

Griechenland steht – bezogen auf das BIP – an dritter oder vierter Stelle in der Liste der Länder, die am meisten für Waffen ausgeben. (….) Anfang 2018 traf Alexis Tsipras Donald Trump und kündigte an, für 1,6 Milliarden Euro Waffen in den Vereinigten Staaten zu kaufen.“ 

Hätte die griechische Schuld gestrichen werden sollen?

E. T.: Natürlich. Das ist gängige Praxis. Als Polen Anfang der 90er Jahre den Warschauer Pakt verließ, gewährten ihm seine westlichen Gläubiger einen Schuldenerlass von 50 %. Als zur gleichen Zeit Ägypten am ersten Golfkrieg teilnahm, wurden auch 50 % der Schulden erlassen. Im Irak wurde nach der amerikanischen Invasion im März 2003 ein Schuldenerlass von 80 % gewährt. So kommt es seit Jahrzehnten immer wieder zu massiven Schuldenreduzierungen. Und das wäre im Falle Griechenlands sehr notwendig gewesen. Natürlich hätte eine Prüfung der Schulden unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger durchgeführt werden müssen, um die Verantwortlichen auf der griechischen Seite und auf der Seite der Kreditgeber zu ermitteln. Es sei daran erinnert, dass Griechenland – bezogen auf das BIP – an dritter oder vierter Stelle in der Liste der Länder steht, die am meisten für Waffen in der Welt ausgeben! Und wer sind die wichtigsten Waffenlieferanten Griechenlands? Deutschland, Frankreich und die Vereinigten Staaten! Im ersten Memorandum des Jahres 2010 wurden unter anderem die Ausgaben für Waffenkäufe nicht gekürzt. Und es geht weiter. Anfang 2018 traf Alexis Tsipras Donald Trump und kündigte an, für 1,6 Milliarden Euro Waffen in den Vereinigten Staaten zu kaufen. 

Übersetzung: Sand im Getriebe

Quelle: https://information.tv5monde.com/info/la-grece-est-une-victime-expiatoire-des-politiques-appliquees-dans-l-union-europeenne-245317 / http://www.cadtm.org/Grece-une-annonce-de-reduction-de-dette-en-trompe-l-oeil