von Romaric Godin
Begleitet von den Glückwünschen der Eurogruppe hat Zypern seinen Ausstieg aus dem Memorandum drei Jahre nach dessen Unterzeichnung bekannt gegeben. Aber es gibt noch zahlreiche Risiken und Herausforderungen.
Zypern, das ist nun der neue verlorene Sohn der Troika. Auf dem Treffen der Eurogruppe vom 7. März kündigte die Republik Zypern an, dass sie am kommenden 31. März offiziell aus dem Hilfsprogramm „aussteigen“ würde. Drei Jahre nach Unterzeichnung des Memorandums sei das Land nun von der Troika „befreit“. Es gab Applaus für diese Ankündigung und die Verantwortlichen der Eurogruppe und des IWF schickten ebenfalls ihre herzlichen Glückwünsche nach Nikosia. Jeroen Dijsselbloem, der Präsident der Eurogruppe, hat die „sehr, sehr gute Arbeit“ der zypriotischen Behörden begrüßt.
Eine großartige Erholung?
Die Regierung des Präsidenten Nikos Anastasiadis ist übrigens überaus stolz auf diesen Erfolg. Seit der Unterzeichnung des Memorandums im April 2013 übertraf Zypern immer die Prognosen des Hilfsprogramms. Insgesamt benötigte das Land 7,5 der 10 Milliarden Euro, die zur Verfügung standen (aber mit einer Beteiligung von 9 Milliarden Euro durch die Bankeinleger bei einem Bruttoinlandsprodukt von 17 Milliarden Euro). 2015 fand das Land nach einem drei Jahre dauernden Rückgang mit einem erwarteten Anstieg von 1,4 % zum Wachstum zurück. Das Haushaltsdefizit ist beinahe abgebaut auf 1 % des BSP gegenüber 8,9 % im Jahr 2014 und Zypern hat wieder Zugang zu den Märkten um sich zu refinanzieren. Zypern hat demnach alles um seinerseits ein „Vorzeigeland“ zu werden, wie früher vor den jüngsten Wahlen Irland, Spanien und Portugal. In den sozialen Netzen wird das glänzende Beispiel der Mittelmeerinsel mit dem so fatalen Schicksal Griechenlands verglichen.
Die Schlüssel des „Erfolgs“
Dennoch darf man vor Begeisterung nicht einige Realitäten aus den Augen lassen. Der Schlüssel des zypriotischen „Erfolgs“ war eine weniger starke Rezession als im Hilfsprogramm vorhergesehen war. Aber ist die Sparpolitik die Ursache für den „Erfolg“? In Wirklichkeit profitierte Zypern davon, dass einige Zielorte wie Ägypten und Tunesien vom Tourismus-Markt verschwanden – was eine große Auswirkung für diese kleine Volkswirtschaft hatte. Hinzu kam das Sinken der Rohstoffpreise, das wie überall in Europa den Konsum der Haushalte begünstigte. Schließlich sind die russischen Investoren in Zypern geblieben und haben 2015 wieder mit Investitionen begonnen. Große Auswirkung hat auch die Vereinbarung mit Moskau vom Frühling 2015, zwar haben die Russen viel mit der Rettung der zypriotischen Banken verloren, aber das Banksystem liegt ab jetzt in ihren Händen. Auch bleiben sie angetan von den Vorteilen Zyperns mit seinem Unternehmenssteuersatz von 12,5 % und seiner „angelsächsischen“ Gesetzgebungskultur, die aus Zypern einen guten Stützpunkt für den Zugang zu den anderen anglo-normannischen oder karibischen Steuerparadiesen macht.
Zurück auf den Märkten dank der EZB
Das wiedergefundene „Vertrauen“ der Märkte in die Staatsschulden Zyperns, für die der Markt äußerst eng ist, lässt sich leicht erklären. Die zypriotischen Staatsschulden werden von den Rating-Agenturen als „faul“ angesehen, aber sie sind Bestandteil im Rückkaufprogramm der EZB (im Unterschied zu den Schulden Griechenlands): es handelt sich also um eine Staatsschuld mit einer hohen Rendite und einer guten Sicherheit (man ist sicher, einen Abnehmer auf dem Markt zu finden). Warum sollten die Investoren in einer Zeit negativer Zinsen auf ein solches Juwel verzichten?
Zu pessimistische Prognosen 2013?
Schließlich verdankt sich der „Erfolg“ Zyperns zu großen Teilen auch den absichtlich übertrieben negativen Vorhersagen der Troika. Diese „Vorsicht“ ist 2013 zugegeben und durch diejenige des griechischen Memorandums von 2015 bestätigt worden, das sich ebenfalls in seinen Erwartungen als zu pessimistisch gezeigt hat. Diese negative Übertreibung hat zwei Vorteile: zum einen kann man vermeiden dem Bedarf hinterher zu „laufen“, wenn die rezessionsfördernden Auswirkungen stärker als erwartet sind, wie es in Griechenland zwischen 2010 und 2012 der Fall war; zum anderen bietet sie die Möglichkeit, den „Erfolg“ des Hilfsprogramms zu betonen, da die Angelegenheit immer besser läuft als vorhergesehen.
Der sehr hohe Preis, den Zypern bezahlte
Man muss sich also darüber im Klaren sein, dass die Hurras der Eurogruppe vom 7. März 2016 für die zypriotischen Bevölkerung sehr teuer waren. Das BSP ist um fast 10 % zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit, die es vor der Krise fast nicht gab, ist auf 17 % der Erwerbsbevölkerung angestiegen und beträgt heute noch 15,3 %. Nach Eurostat zeigte Zypern 2011 ein BSP, pro Kopf der Bevölkerung in Kaufkraftparität gemessen, ein um 3 % höheres Niveau an als der Durchschnitt der EU, heute ist es um 15 % niedriger. Vor allem hat das Hilfsprogramm nicht wirklich ein “gesünderes Wachstum“ für die Insel möglich gemacht, wie es Dienstag Jeroen Dijsselbloem behauptete. Die Antriebskräfte der zypriotischen Wirtschaft bleiben die selben wie vor der Krise: das Geld der Ex-UdSSR und der Tourismus. Aber im Unterschied zur vorherigen Situation 2011– 2012 schaffen es diese „Antriebskräfte“ kaum, ein solides Wachstum des Konsums anzufachen.
Es sei daran erinnert, dass der Anstieg der Ausgaben für Investitionensgüter um 8 % im Jahr 2015 nach einem Rückgang im Jahr 2014 um 43,5 %, im Jahr 2013 um 15,1 % und im Jahr 2012 um 26,1 % erfolgt. Das zeigt deutlich genug, wie lang der Weg noch ist und wie lange die Auswirkungen der Krise noch andauern werden. Vor allem da die seit drei Jahren andauernden fehlenden öffentlichen Investitionen auch in der Zukunft Spuren zu hinterlassen drohen.
Ablehnung der EU
Dieses Hilfsprogramm wird Spuren hinterlassen, so „erfolgreich“ es auch gewesen sein mag. In der letzten Untersuchung des Eurobarometers steht Zypern an zweiten Stelle der Länder, in denen das Misstrauen gegenüber der EU sehr stark ist, nämlich bei 69 % der befragten Personen, hinter Griechenland bei 73 %. Die Zyprioten sind auch die Europäer, die das negativste Bild von der EU haben, bei 42 % der befragten Personen trifft dies zu, dagegen sind nur 24 % positiver Meinung. 63 % der Befragten – ein Rekord – meinen nicht, dass die EU „die Lebensqualität verbessert“. Kurz, der Euroskeptizismus geht in Zypern stärker als je zuvor aus diesem Programm hervor.
Die zwei Hoffnungen der Zyprioten
Die Zyprioten haben eigentlich nur zwei Hoffnungen, die ganz unabhängig vom Ausgang des „Hilfsprogramms“sind: die Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel und die Ausbeutung der Gasfelder ab 2020, die die Insel äußerst reich machen könnte (und die auch die Wiederaufnahme der Investitionen erklärt).
Die Frage der Wiedervereinigung dürfte übrigens das beherrschende Thema bei den Parlamentswahlen vom Mai 2016 werden, viel eher als die Frage der Sparpolitik und deren Auswirkungen. Nikos Anastasiadis hat sehr wohl gemerkt, wie wichtig es ist, im Wahlkampf das Thema auf diese Frage zu lenken. Daher hat er Gespräche mit dem neuen Präsidenten des von der Türkei besetzten Nordteils eröffnet, Mustafa Akıncı, der sich 2015 mit einem Programm der Annäherung an die Republik wählen ließ.
Der Druck der EU auf Zypern
Die Verhandlungen sind seit letztem Sommer gut vorangekommen, aber über die Frage der Entschädigung für die 1974 von den Türken aus ihren Besitzungen vertriebenen zypriotischen Griechen sind sie ins Stocken geraten. Vor allem hat ein anderes Problem den Verhandlungsprozess gestört: die Krise der Migranten. Nikosia, dessen Regierung von Ankara nicht anerkannt wird, blockiert die Öffnung mehrerer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen Türkei – EU, solang das „zypriotische“ Problem nicht gelöst ist. Nun aber umgarnt Deutschland – und jetzt die EU – die Türkei, die die Wiederaufnahme des Beitrittsprozesses verlangt. Die zypriotische Regierung steht nun also unter Druck, ihre Position zu lockern. Das bringt Nikos Anastasiadis in Schwierigkeiten: jede Lockerung seiner Position würde in Zypern wie das Aufgeben des einzigen Druckmittels wahrgenommen, über das die Republik in den Verhandlungen verfügt. Der europäische Druck auf Zypern wird jedoch immens sein.
Ein für die Regierung schwieriger Wahlkampf
Der „Erfolg“ des Hilfsprogramms könnte während des Wahlkampfs von dieser Frage überschattet werden. Nikos Anastasiadis wäre überdies gut beraten, nicht zu sehr auf diesen „Erfolg“ hinzuweisen: die Beispiele Spaniens, Portugals und Irlands zeigen, dass die Bevölkerung eine etwas andere Vorstellung vom „Erfolg“ haben als die Eurogruppe. Die Gefahr für den Präsidenten würde darin bestehen, dass seine Partei, der Disy (Demokratische Sammlung, rechts) in die Defensive geräte. Im Augenblick sind die Umfragen für die Partei stabil: 33 % gegenüber 34 % 2011. Allerdings hat die wichtigste Oppositionspartei, die kommunistische AKEL-Partei, wegen ihres katastrophalen Verhaltens in der Krise vor 2012 ihre Glaubwürdigkeit verloren, sie verlöre 7 Punkte ( 25,5 % gegenüber 32,7 % 2011). Die kleinen nationalistischen Parteien könnten die großen Wahlsieger sein und die Regierungsbildung erschweren. Noch einmal: der „Erfolg“ der Sparpolitik
wird mit einem hohen politischen Preis bezahlt werden.
Quelle: > La tribune
Übersetzung: Jürgen Janz, coorditrad