von M.C. Vergiat
24. Juni 2013
Am 7. Juni hat der IWF einen „Hilfsplan“ über 1,3 Milliarden Euro für Tunesien angekündigt, der den Übergang seit dem Sturz Ben Alis im Januar 2011 „unterstützen“ soll. Die Gelder aus diesem Zwei-Jahresprogramm müssen innerhalb von fünf Jahren zurückgezahlt werden, und die tunesische Regierung hat eine erste Tranche von 114 Millionen Euro erhalten. Dies sollte der Köder sein. Die nächsten Tranchen hängen von acht sogenannten Kontroll-Treffen ab und werden nur ausgezahlt, sofern Tunis das Strukturreformprogramm umsetzt, das der IWF ausgearbeitet hat.
Die Absichtserklärung der tunesischen Regierung, die alle politischen Maßnahmen enthält, die Tunesien umzusetzen gedenkt, macht deutlich, welche drastischen Reformen geplant sind. Diese basieren auf drei Säulen:
1. Reduzierung der Personalkosten und der Subventionen für Grundnahrungsmittel (mit denen erschwingliche Preise für einkommensschwache Haushalte erreicht wurden);
2. Etablierung eines neuen Investitionskodex (wodurch 10 Jahre lang Steuerbefreiungen auf Gewinne von Unternehmen gewährt werden, die jetzt Off-Shore sind);
3. Umstrukturierung des Bankensektors – darunter ist die Privatisierung der drei Staatsbanken zu verstehen, die im Vorfeld vom Staat rekapitalisiert werden.
Dabei sei daran erinnert, dass der tunesische Staat von 10 Milliarden Euro Einnahmen 5 Milliarden für Löhne, 2,8 Milliarden für Subventionen auf Grundnahrungsmittel und Energie und 2,1 Milliarden für die Schuldenrückzahlung aufwenden muss. Sicherlich ist Ihnen nicht entgangen, dass der drittwichtigste Posten des tunesischen Haushaltes und der am wenigsten gerechtfertigte, die Schuldenrückzahlung, natürlich nicht erwähnt wird.
Wer wird unter diesen Reformen leiden? Es sind immer die gleichen. Zunächst die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, die ein Drittel der Beschäftigten ausmachen. Sie werden als erste von den Kürzungen aufgrund des Haushaltsdefizits betroffen sein, weil es Einstellungsstopps und Haushaltskürzungen geben wird. Schließlich die Verbraucher und Nutzer, die über die Kürzung der staatlichen Subventionen für Güter des täglichen Bedarfs sowie über die Erhöhung der Mehrwertsteuer betroffen sind.
Sicherlich ist das derzeitige Verteilungssystem für Subventionen verbesserungsfähig, daran besteht kein Zweifel, doch dabei dürfen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der drastischen Einschnitte dieser Subventionen nicht ignoriert werden. Nach Ansicht einiger Fachleute werden ungefähr 400.000 Menschen in die Armut schlittern. Es sei daran erinnert, dass die Brotpreiserhöhung 1984 zu Aufständen geführt hatte, aufgrund derer der damalige Präsident Bourguiba beinahe gestürzt worden wäre.
Welche demokratische Rechtfertigung gibt es also für ein solches Abkommen? Eine Umfrage des Instituts „Tunisie Sondage“ ergab, dass 66% der Tunesier dem Kreditantrag der tunesischen Regierung beim IWF nicht zustimmen. Das Ziel dieser Regierung, die nur die laufenden Geschäfte zu regeln hat, sollte sein, die Ausarbeitung einer Verfassung durch die verfassungsgebende Nationalversammlung zu fördern und schnellstmöglich Wahlen zu organisieren. Diese Regierung ist nicht befugt, Maßnahmen zu treffen, die das Land über mehrere Jahrzehnte festlegen. Im Übrigen gründen sich Bürgerinitiativen und sie beginnen sich zu mobilisieren. Ich möchte Ihnen dieses Video ans Herz legen, das aufzeigt, dass die Tunesier „40 Jahre brauchen werden, um dieses Darlehen zurückzuzahlen.Wir dürfen nicht zwei Generationen mit einer solchen Hypothek belasten“: > http://www.youtube.com/watch?v=kvyXJhirRRw
Doch wie sehen die Alternativen aus? Nach seinem Schuldbekenntnis gegenüber Griechenland hätte man den Eindruck gewinnen können, dass der IWF anfängt, aus seinen Fehlern zu lernen. Bedauerlicherweise zeigt dieser Plan, dass dem nicht so ist: Sein einziges Augenmerk ist darauf ausgerichtet, Investoren anzuziehen und die Geldgeber zu befriedigen, auf Kosten des Lebensstandards der tunesischen Bürger, die unter der Auswirkung der Reformen zu leiden haben werden.
Mit unseren Partnern in Tunesien und in Vereinigungen werde ich das Projekt zur Untersuchung der Verschuldung Tunesiens (Audit) weiterführen (1). Die Belastung durch diese verabscheuungswürdige Verschuldung, von der alleine der Clan um Ben Ali-Trabelsi profitiert hat und die schwer auf dem tunesischen Haushalt lastet, ebenso wie die Unsummen, die zu deren Tilgung ausgegeben wurden, könnten an anderer Stelle sehr viel sinnvoller verwendet werden.
Dass der IWF das Problem der Verschuldung in seinem drakonischen Sparplan ausgelassen hat, geschah nicht zufällig. Durch ein Protokoll des Treffens von Regierungsmitgliedern mit Vertretern des IWF vom 31. Januar 2013 hat sich herausgestellt, dass der IWF der Regierung im Falle der Annahme des Projektes zur Überprüfung der Staatsschulden gedroht hatte, die Kreditwürdigkeit noch weiter herabzustufen. Genau aus diesem Grund hatte die Regierung versucht, das Projekt zur Überprüfung der Staatsschulden in der Verfassungsgebenden Versammlung zurückzuziehen. Der IWF versucht also in Tunesien immer wieder dieselbe Politik durchzupeitschen, mit der auch in der Vergangenheit in Südamerika solche Schäden angerichtet wurden und die EU derzeit in die Rezession getrieben wurde.
> http://cadtm.org/Tunisie-FMI-UE-meme-combat-contre
Übersetzung: Kirsten HEININGER, coorditrad /SiG-Red.
Marie-Christine Vergiat ist Europaabgeordnete der Vereinigten Europäischen Linken, > http://www.eurocitoyenne.fr/
Verabscheuungswürdige Schulden (odious debts)
Alexander Sack hatte 1927 in seiner völkerrechtlich verankerten Doktrin erklärt:
„Wenn ein diktatorisches Regime nicht im Interesse des Staates sondern zur Stärkung eines diktatorischen Regimes und der Unterdrückung der Menschen, die dagegen kämpfen, Schulden aufnimmt usw., sind diese Schulden für die gesamte Bevölkerung eines Staates verabscheuungswürdig (…).
Diese Verschuldung ist für eine Nation nicht verpflichtend, es handelt sich um Schulden eines Regimes, eine persönliche Verschuldung der Macht, die sie vereinbart hat, und sie wird mit dem Sturz dieser Macht ungültig.“
Er fügt etwas weiter hinten hinzu:
„ Zu dieser Schuldenkategorie gehören auch staatliche Anleihen, die offensichtlich interessengeleitet von Regierungsmitgliedern oder von regierungsnahen Personen oder Gruppierungen getätigt wurden, die überhaupt keinen Bezug zu den Interessen des Staates haben.“
Sack unterstreicht ebenso, dass die Gläubiger dieser Schulden, die diese in voller Sachkenntnis gewährt haben, eine feindselige Handlung gegenüber der Bevölkerung begangen haben, sie können also nicht darauf zählen, dass die Nation, die sich von diesem diktatorischen Regime befreit hat, diese „odious debts“ übernimmt, die aus den persönlichen Schulden dieser Regierung stammen.
Es ergeben sich also drei Situationen, in denen Schulden verabscheuungswürdig sind:
1) Sie wurden durch ein despotisches, diktatorisches Regime zur Stärkung seiner Machtstrukturen angehäuft.
2) Sie wurden nicht im Interesse der Bevölkerung sondern gegen deren Interessen und/oder im persönlichen Interesse der Regierungsmitglieder und von der Regierung nahestehenden Personen gemacht.
3) Die Gläubiger wussten (oder konnte es wissen), welche verabscheuungswürdige Verwendung den gewährten Schulden zugedacht war.
S. auch SiG 101: Doch kein Schuldenaudit? > http://sandimgetriebe.attac.at/10459.html