Tunesiens Schulden: Pressemitteilung von Marie-Christine Vergiat, Europaabgeornete der Front de Gauche (Linksfront) und des Komitees für die Streichung der Schulden der dritten Welt (Comité pour l’Annulation de la Dette du Tiers-Monde, CADTM) am 6. September 2011 Die Zahlung der zweiten Tranche der zu bedienenden tunesischen Schulden ist im Laufe dieses Monats fällig. In Anbetracht der sozialen Anforderungen und der historischen Umbrüche, die Tunesien aktuell durchlebt, sollten die tunesischen Behörden andere Prioritäten verfolgen, zumal mehr als ein Großteil dieser Schulden illegitim ist, da er lediglich dazu diente, Ben Ali und einige seine engsten Vertrauten auf Kosten der tunesischen Bevölkerung zu bereichern. Das tunesische Volk hat bereits genug gelitten. Es hat ein Recht, die Wahrheit über die Verwendung der Kredite zu erfahren. Die Rückzahlung dieser Schulden sollte also sofort ausgesetzt werden und zwar so lange, bis eine eingehende Prüfung durchgeführt ist, die den Anteil illegitimer Schulden feststellt und dessen Streichung begründet. Die Entscheidungsträger der EU sollten es als eine Ehre ansehen, diese Überprüfung zu fördern und die notwendigen Dokumente bereit zustellen, angesichts ihrer Verantwortung gegenüber dem alten Regime. Bis heute haben 100 Abgeordnete den Aufruf (siehe unten) unterschrieben, der in diesem Sinne vom Netzwerk CADTM und den beiden Europaabgeordneten Marie-Christine Vergiat und Gabi Zimmer verfaßt wurde, um die internationale Kampagne von RAID, – tunesische Mitgliedsorganisation des Netzwerkes CADTM und von Attac – zu unterstützen. Diese Forderung wurde auch vom belgischen Senat* und der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU aufgenommen. Es ist Zeit, den Teufelskreis der tunesischen Verschuldung zu durchbrechen. Es sei daran erinnert, dass Tunesien zwischen 1990 und 2009 drei Milliarden Euro mehr zurückgezahlt hat, als es an neuen Krediten im selben Zeitraum erhalten hat. Die Rückzahlung auszusetzen wäre also realistischer, als Tunesien weiter in eine neue Schuldenspirale zu treiben, wie es derzeit die Hauptgläubigern wollen unter denen sich ganz vorn auch die EU und besonders Frankreich befindet. Dies würde die Aufnahme eines neuen Dialoges mit den südlichen Mittelmeerländern ermöglichen, der insbesondere den gebührenden Respekt voraussetzt – gegenüber dem tunesischen Volke sowie den demokratischen Einrichtungen, über die es bald verfügen wird. Wir rufen daher alle Abgeordneten, sei es in den nationalen Parlamenten oder im Europäischen Parlament, dazu auf, sich uns anzuschließen. Um den Druck auf die tunesische Regierung und die Gläubiger zu erhöhen, richten wir diesen Aufruf auch an die Parlamente anderer Kontinente. > www.senate.be/www/?MIval=/publications/viewPubDoc&TID=83889608&LANG=FR Aufruf europäischer und nationaler Abgeordneter zur eingehenden Prüfung der europäischen Forderungen gegenüber Tunesien Zu dem Zeitpunkt, als der Diktator Ben Ali am 14. Januar 2011 seine Macht verlor, hatte der tunesische Staat gegenüber dem Ausland 14,4 Milliarden Euro Schulden. Diese Schulden stellen ein großes Hindernis für die Entwicklung der tunesischen Bevölkerung dar, da deren Rückzahlung (Tilgung und Zinsen) jedes Jahr durchschnittlich das Sechsfache des Gesundheitsetats beansprucht. Während Tunesien dringend all seine finanziellen Mittel mobilisieren muss, um den Anforderungen der derzeitigen Situationen gerecht zu werden, plant der aktuelle Gouverneur der tunesischen Zentralbank für 2011 577 Millionen Euro des Staatshaushaltes für die Rückzahlung der Schulden gegenüber dem Ausland ein. Diese Verschuldung hat nicht dazu beigetragen, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Das Vermögen, das der Ben-Ali-Clan in 23 Jahren an der Macht aufgehäuft hat, zeigt, dass große Summen mit dem Wissen einiger Gläubiger unterschlagen worden sind. Hinzu kommen alle Rückzahlungen der externen Staatsschuld, die Tunesien bereits getätigt hat. Den Angaben der Weltbank zufolge hat Tunesien zwischen 1970 und 2009 nämlich 2,47 Milliarden Dollar mehr zurückgezahlt, als es im selben Zeitraum geliehen hat. Wir, Mitglieder zahlreicher europäischer parlamentarischer Versammlungen, fordern deshalb die sofortige Aussetzung der Rückzahlung von Schulden Tunesiens gegenüber Europa (bei Einfrierung der Zinszahlungen) und die eingehende Überprüfung dieser Forderungen. An dieser Schuldenprüfung sollen auch Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt werden, wie es auch 2007/2008 bei der Prüfung der ecuadorianischen Schulden durch die Regierung der Fall war. Dies wird Licht auf den Verwendungszweck der geliehenen Geldmittel, auf die Umstände, unter denen die Kreditverträge abgeschlossen wurden, auf die Bedingungen, die diese Verträge enthalten (die Konditionalitäten) sowie auf ihre Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft werfen. Die Schuldenprüfung wird es erlauben, den illegitimen Teil der tunesischen Schulden zu identifizieren, den Teil also, von dem die Bevölkerung nicht profitiert hat. Außerdem wird sie verhindern, dass eine neue Spirale unrechtmäßiger und unhaltbarer Verschuldung entsteht, indem die europäischen Gläubiger, die internationalen Finanzinstitutionen, innerhalb derer Europa ausschlaggebendes Gewicht hat, und die künftige Regierung Tunesiens in die Verantwortung genommen werden. Um den Aufruf zu unterschreiben, schicken Sie Ihre Unterschrift an Renaud Vivien (CADTM – Comité pour l’Annulation de la Dette du Tiers Monde): renaud[at]cadtm.org Originaltext und Liste der Unterzeichnende: > www.cadtm.org/Dette-tunisienne-100 Übersetzung: Katharina Hauptmann, coorditrad, und SiG-Redaktion Charta des Bündnisses für ein Audit europäischer Forderungen gegenüber Tunesien und für die Streichung des unrechtmäßigen Anteils der Schulden Seit 1970 haben das Regime Bourguiba und danach das Regime Ben Ali Tunesien in die Schuldenspirale hineingezogen und das Land den Banken und internationalen Finanzinstitutionen preisgegeben, die „dem besten Schüler des IWF“, wie dessen früherer Chef es ausdrückte, hemmungslos Kredite gegeben haben. Um deren Anforderungen zu genügen, wurden die staatlichen Unternehmen privatisiert und verkauft, die Zukunft des Landes mit Hypotheken belastet. Gestern wie heute ist es das tunesische Volk, das für die Schulden teuer bezahlt. Seit dem 21. Januar 2011 nimmt die Übergangsregierung unter Verletzung ihrer Verpflichtungen gegenüber den Grundbedürfnissen der Bevölkerung sowie unter Verletzung von Artikel 34 der tunesischen Verfassung für den Schuldendienst völlig illegal neue Kredite auf. Als die Revolution am 17. Dezember 2010 auf den Weg gebracht wurde, hat dies große Hoffnungen geweckt. Damit aber das Streben des tunesischen Volkes nach Demokratie und sozialem Fortschritt Wirklichkeit wird, muss es frei über seine Zukunft entscheiden und über die erforderlichen politischen und wirtschaftlichen Mittel verfügen können. Die Schulden, die das Regime Bourguiba und später das Regime Ben Ali aufgehäuft haben, sind ein Hindernis für die Verwirklichung dieses Bestrebens. I. Ziele und Werte des Bündnisses 1. Ziel: Durchführung eines Audits der französischen und europäischen Forderungen gegenüber Tunesien und Annulierung der illegitimen sowie der verabscheuungswürdigen Schuldenanteile. 2. Ziel: Unterstützung der Bürgerbewegungen in Tunesien und deren Forderungen nach einem Audit der Staatsschulden Tunesiens und dem Streichen des ungerechtfertigten Schuldenanteils Die o.g. Audits müssen folgende Voraussetzungen erfüllen:
Das Bündnis ist unabhängig von allen politischen Parteien und kommunalen Organisationen, Gewerkschaften oder Verbänden. (…) Ziel des Bündnisses ist es, eine Interessengruppe zu gründen, um die o.g. Ziele zu realisieren. So können verschiedene Akteure zusammengeführt und eine Plattform für den Austausch von Einzelpersonen und Organisationen bereitgestellt werden, um seine Ziele zu verwirklichen. Die Unterschiedlichkeit der Akteure dient dazu, komplementäre oder kollektive Aktionen durchzuführen und nicht dazu, deren Differenzen beizulegen. Das Bündnis soll die Bürger mithilfe von Aktionen für die Schuldenfrage sensibilisieren und u.a. Verbände, Parlamentarier und politische Parteien ansprechen. Attac Frankreich gehört zu dem Bündnis, auch CADTM France (Comité d’Annulation de la Dette du Tiers-Monde), Survie, FASE, PG, PCOF, Gauche Unitaire, EELV, FTCR (Fédération des Tunisiens pour une Citoyenneté des deux Rives), LNT (La Nouvelle Tunisie), CPR, REMCC, SUD PTT, NPA, VIPL, Sortir du Colonialisme, PVAG, RAID. Pressekonferenz des Bündnisses in Paris am 15. September 2011 Rede von Fathi Chamkhi, attac Tunesien Rede von Pascal Franchet, CADTM Rede von Jihen Chandoul (CPR) > http://www.senate.be/www/?MIval=/publications/viewPubDoc&TID=83889608&LANG=FR |
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