von Pierre Morel
24. November 2010
Das Komitee zur Streichung der Schulden der Dritten Welt (CADTM, Comitée pour l’Annulation de la dette du tiers-monde) ist seit seiner Gründung in Lüttich zu einer einflußreichen internationalen Organisation herangewachsen. Es hat zur Entschuldung der Länder der Dritten Welt beigetragen und bestimmte Regierungen des Südens beraten. Die Schuldenkrise, die jetzt auch den Norden erreicht hat, ist ein Beweis für die Relevanz der Frage.
Lüttich ist in dieser Woche Tagungsort der alle zwei Jahre stattfindenden Weltversammlung des CADTM. Über dieses wie gesagt anerkannte, viel beachtete und international tätige Netzwerk ist allerdings nur soviel bekannt, dass sein Sitz noch immer in Lüttich ist, wo es sein Vorsitzender Eric Toussaint vor 20 Jahren ins Leben gerufen hat.
Wie ist das CADTM entstanden?
Während der 80er Jahre waren die Länder der Dritten Welt hinsichtlich ihrer Rückzahlungsverpflichtungen einer massiven Krise ausgesetzt, die zu dem so genannten Konsens von Washington geführt hat, das heißt, einer Reihe aggressiver Maßnahmen, die unter der Ägide des IWF (Internationalen Währungsfonds) und der Weltbank durchgesetzt wurden: Privatisierungen, Öffnung der Märkte, Abbau der öffentlichen Ausgaben. Als logische Folge dieser Maßnahmen haben sich die Lebensbedingungen in diesen Ländern verschlechtert. Wie der Name sagt, ist das CADTM mit dem Ziel gegründet worden, die Haushalte der Länder der Dritten Welt von dieser riesigen Last zu befreien und ihnen den Weg zur Verwirklichung ehrgeiziger politischer Programme zum Wohl ihrer Bevölkerung zu ebnen. Denn die Rückzahlungsverpflichtungen verschlangen damals zwischen 30 und 40 % eines Staatshaushalts, die Ausgaben für Bildung und Gesundheit nicht einmal zwischen 6 und 10 %!
Worin bestehen schlußendlich diese Schulden? Woher kommen sie? Wer hat sie verursacht?
In der Zeit des Kalten Kriegs Diktaturen wurden riesige Darlehen gewährt, so dass in den 60er und 70er Jahren die Schulden jedes Maß überschritten. Ein guter Teil dieser Darlehen sind außerdem von den Diktatoren für ihre persönliche Bereicherung unterschlagen worden. So wird beispielsweise die von Mobutu unterschlagene Summe auf 10 bis 15 % des Zaire gewährten Kredits von mehreren Milliarden Dollars geschätzt. Im Rahmen des Völkerrechts hat sich dafür der Begriff „Diktatorenschuld“ eingebürgert. Was die Gläubiger angeht, so handelt es sich entweder um Privatbanken oder um „transnationale“ Banken wie den IWF oder die Weltbank, oder auch um Staaten im Rahmen bilateraler Beziehungen. Die privaten Schulden sind immer mehr in „Finanzinstrumente“ umgewandelt worden, d.h. in auf dem Finanzmarkt handelsfähige Wertpapiere, also in die Art von Finanzprodukten, die die “Subprime”-Krise hervorgerufen haben.
Was hat ihre Öffentlichkeitsarbeit in den letzten zwanzig Jahren bewirkt?
Von der breiten Öffentlichkeit ist unsere Kritik an der Politik des IWF oder der Gläubigerstaaten, die sich als Neokolonialen Staaten verhalten, ganz klar begrüßt worden, sowohl bei uns aber auch besonders in den Schuldnerstaaten selbst. Unsere Botschaft wurde weit verbreitet und es hat ja ziemlich viele multi- oder bilaterale Schuldenstreichungen gegeben. Beispielsweise hat die Demokratische Republik Kongo soeben erlebt, wie ihre Schulden von fast 13 Milliarden um die Hälfte verringert worden sind. Interessanterweise war das auslösende Ereignis auf dieser Ebene die Invasion des Irak im Jahr 2003. Nach der Invasion haben die USA gesagt, bei den Saddam Hussein gewährten Krediten handle es sich um eine „Diktatorenschuld“, die dann zu 80 % erlassen wurde! Der Durchbruch war da.
Aber der Privatsektor dürfte für solche Argumente nicht gerade ein offenes Ohr haben?
Nein, aber man kann ihn in die Pflicht nehmen. Als Rafael Correa nach einer Diktatur in Ecuador an die Macht kam, hat er einen Schuldenaudit vorgenommen, an der wir mitgearbeitet haben. Die Arbeit an der Überprüfung hunderter Kreditverträge hat gezeigt, dass 3,2 der 15 Milliarden Dollar Darlehen des Landes illegal waren, da korrupte Funktionäre Verträge unterzeichnet hatten, die das Land auf schändliche Weise benachteiligten. Correa hat dann beschlossen, die Rückzahlungen sofort zu stoppen, und wenige Monate später willigten die Gläubigerbanken in ein Geschäft ein: Ecuador kauft all diese Wertpapiere zu 35 % ihres Wertes zurück. Wir führen ähnliche Revisionen und Beratungsarbeiten insbesondere in Lateinamerika mit immer mehr Staaten durch, in denen fortschrittliche Regierungen die Nachfolge von Diktaturen angetreten haben.
Warum beschließt ein Doktor der Politikwissenschaften eines schönen Tages, einen solchen Kampf aufzunehmen?
Der eigentliche Witz daran ist, dass der Kampf durch den… Zustand des Haushalts von Lüttich in den 80er Jahren zustande kam. Ich war Lehrer bei der Stadt, als sie am Rand der Zahlungsunfähigkeit stand. Ich habe am eigenen Leib den Abbau der öffentlichen Gelder, des Personals und die Privatisierungen miterlebt. Ich habe auf lokaler Ebene gesehen, welche Auswirkung eine Verschuldung haben kann, die 35 % ihres Budgets auffrißt, und ich bin von der lokalen zur internationalen Ebene übergegangen, vom Norden in den Süden. Es ist übrigens interessant zu sehen, wie diese Frage der Verschuldung des Staatshaushalts heute wie ein Bumerang auf die Länder des Nordens zurückschlägt: Irland oder in Griechenland, wo das CADTM soeben eine Geschäftsstelle aufgemacht hat, erleben inzwischen das, was die Länder der Dritten Welt durchmachen!
Quelle: > www.cadtm.org/De-la-dette-liegeoise-au-tiers
Aus dem Französischen von Angelika Gross, ehrenamtliche Übersetzerin coorditrad, Korrekturen von Bruno Nieser
Aufzeichnungen über die Tagung “20 Jahre CADTM” : > www.cadtm.org/Les-20-ans-du-CADTM