Irak, Krieg, Schulden und G8

von Eric Toussaint, CADTM (Komitee für die Streichung der Schulden der Dritten Welt)

Einige Tage nach dem Beginn der Invasion des Iraks durch amerikanische, britische und australische Truppen schätzte George W. Bush in einer Rede vor dem Kongress, dass der Krieg die Staatskasse voraussichtlich 80 Milliarden Dollar kosten würde. Laut Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und UNICEF entspricht dies genau jener Summe, die weltweit nötig ist, um den universellen Zugang zu Trinkwasser, Grundbildung, medizinischer Grundversorgung, angemessener Ernährung und gynäkologischer Versorgung und Geburtshilfe (für alle Frauen) zu gewährleisten. Die USA haben die ‚Meisterleistung‘ vollbracht, eine Summe aufzubringen, die in den vergangenen Jahren auf keinem Weltgipfel aufgebracht werden konnte (in Genua konnte die G7 2001 nur eine knappe Milliarde Dollar für den Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria aufbringen), und sie innerhalb weniger Monate zu verbrauchen. Die 80 Milliarden, die Bush vom Kongress erhalten hat, sind die Summe, die für die Zerstörung des Iraks und die Besetzung des Territoriums bis zum 31 Dezember 2003 erforderlich ist. Die Kosten des Schadens, der durch den Krieg angerichtet wurde, wurden dabei offenbar nicht berücksichtigt.

Als Vorwand für diesen neokolonialen Angriff dienten einmal mehr humanitäre Anliegen, nämlich das Bestreben, für das irakische Volk ein demokratisches Regime einzurichten und die Menschheit vor Massenvernichtungswaffen zu bewahren. Dieser Vorwand ergänzt die lange Liste der vorgegebenen ‚humanitären Anliegen‘ zur Rechtfertigung schändlicher Operationen zur Eroberung von Gebieten und wirtschaftlicher Plünderungen, von der Evangelisierung Amerikas durch die Conquistadores über den Kampf gegen die Sklaverei, der über die kolonialen Feldzüge Léopolds II hinwegtäuschen sollte bis hin zur Bekämpfung des Terrorismus.

Wer wird aber tatsächlich den Preis für diesen Angriff bezahlen müssen? Der Krieg war noch nicht beendet, als die Finanzminister der 7 reichsten Industrieländer am 10. und 11. April 2003 zusammentrafen, um die Frühjahrs-versammlung der Weltbank und des IWF sowie den alljährlichen G8-Gipfel (Anfang Juni in Evian) vorzubereiten. Annlässlich dieses Gipfels wurde die Auslandsschuld des Iraks bei 120 Milliarden Dollar festgelegt – eine Summe, die sogar die Verschuldung der Türkei, eines Landes mit der dreifachen Bevölkerungszahl, übertrifft. Und das ohne Berücksichtigung der Kompensationen, die Irak für die Invasion in Kuwait 1990 zu zahlen hat. Laut Angaben der Finanzminister der G7 beliefen sich die Schulden des Iraks unter Einberechnung dieser Kompensationszahlungen auf 380 Milliarden Dollar. Das hieße, daß der Irak in der ‚Post-Saddam-Phase‘ zu dem traurigen Privileg gelangt wäre, das meistverschuldete Land der Dritten Welt zu sein, weit vor Brasilien, das derzeit mit einer Schuldenhöhe von 230 Milliarden Dollar an der Spitze rangiert. Hauptmotiv hinter diesem willkürlichen Beschluss über die Schuldenhöhe ist es, die Beschlagnahmung der Ölquellen im Irak unter dem Vorwand rechtfertigen, dass damit die Schuldentilgung ermöglicht würde. Damit, dass sie die Latte bei den Schulden besonders hoch anlegen, sichern sich die G7-Länder sich den Vorteil, dass die irakischen Behörden sich während der nächsten Jahrzehnte den Wünschen ihrer Gläubiger fügen müssen. Selbst wenn die militärische Besetzung des Landes zeitlich begrenzt wäre und der Wiederaufbau unter der Führung der UNO stattfände, würde die Politik dieses Landes de facto durch die Gläubiger und die multinationalen Ölkonzerne bestimmt, die dort Konzessionen erhalten würden.

Aus ebendiesem Grund ist die Forderung nach Annulierung der Auslandsschuld des Iraks nicht nur legitim, sondern eine Voraussetzung für die Wiederherstellung der Souveränität des Landes nach dem schändlichen Militärangriff durch die USA. Die im internationalen Recht verankerte Doktrin der so genannten ‚unrechtmäßigen‘ Schulden (odious debts) trifft im Irak voll und ganz zu. Diese Doktrin besagt folgendes: ‚Falls eine despotische Macht (= das Regime Saddam Husseins, Anm. d. Red.) Schulden nicht für die Bedürfnisse und im Interesse des Staates, sondern zur Stärkung seines despotischen Regimes und zur Unterdrückung der dieses Regime bekämpfenden Bevölkerung usw. macht, so sind diese Schulden für die Bevölkerung des ganzen Staates unrechtmäßig. Diese Schulden stellen keine Verbindlichkeit für das Land dar; es sind die Schulden eines Regimes, eine persönliche Schuld der Macht, die sie aufgenommen hat, folglich verfallen sie mit dem Verfall dieser Macht.‘ (Alexander Sack, Les effets des transformations des Etats sur leurs dettes publiques et autres obligations financières, Recueil Sirey, 1927).
Die USA haben diese Doktrin mindestens zweimal in der Geschichte angewendet. Nach ihrem erfolgreichen Angriff auf die spanische Kriegsmarine vor der kubanischen Küste zur ‚Befreiung‘ Kubas von der spanischen Vorherrschaft konnte die amerikanische Regierung Madrid 1898 dazu bewegen, Kuba die Schulden zu erlassen.

25 Jahre später, im Jahr 1923, sprach der Oberste Gerichtshof der USA nach dem Sturz des Diktators Tinoco [1] den Gläubigern Kubas das Recht ab, Schulden einzutreiben, da jene nicht die neue Regierung, sondern lediglich den gestürzten Diktator zur Verantwortung ziehen könnten. 2003 ist es absehbar, dass die Mitgliedsstaaten der G8, sowohl jene vier, die den Krieg unterstützt haben (USA, Großbritannien, Italien, Japan) als auch jene vier, die sich dagegen ausgesprochen haben (Deutschland, Frankreich, Kanada, Russland), sich darauf einigen werden, im Fall des Iraks nicht die Doktrin der ‚unrechtmäßigen‘ Schulden anzuwenden.

Nun liegt es an der Bewegung für eine andere Globalisierung, die Forderung nach der Annulierung der Auslandschuld des Iraks zu stellen, einhergehend mit weiteren Forderungen wie dem Rückzug der Besatzungs-truppen und der vollständigen Ausübung der Souveränität durch die Iraker selbst.

Deutliche Meinungsverschiedenheiten haben die G8 unmittelbar vor dem Angriff auf den Irak gespalten. Man kann davon ausgehen, dass sie versuchen werden, diese Differenzen zu mindern, um in anderen Bereichen gemeinsame Politik zu machen und die neoliberale Globalisierung fortzusetzen. Sie werden versuchen, eine Konsens zu finden, um die Weltwirtschaftskrise (drohender Börsenkrach, Währungsinstabilität, massive Verschuldung des Privatsektors in den industrialisiertesten Ländern) zu bekämpfen und die kommende Ministerversammlung der WTO in Cancun (Mexiko) Anfang September 2003 vorzubereiten. Denn sie haben aus Seattle die Lehre gezogen: Ohne den Konsens zwischen den USA und der Europäischen Union bezüglich der Handelsagenda könnte Cancun zu einem Misserfolg werden. Die Regierungs-Chefs werden von 1.-3. Juni 2003 zusammenkommen, um gemeinsame Konzepte zu entwickeln.

Die Anti-Kriegs-Bewegung und die Bewegung für eine andere Globalisierung werden ebenfalls anwesend sein.

Übersetzung: Cécile Kellermayr,ehrenamtliches Übersetzungs-Team, Sie: coorditrad@attac.org

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